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„Schillers Bürgschaft“

– Von der Treue zu sich selbst
und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens –


 
 
Prolog

 

Schon als Zehnjährige begeisterte mich Friedrich von Schillers Bürgschaft so sehr, dass ich sie freiwillig auswendig lernte und bis heute in großen Teilen aufsagen kann. In meiner Kindheit war es nicht mehr üblich, bekannte Werke der alten Meister auswendig zu lernen. Meine Großmütter kannten all diese oftmals ellenlangen Werke noch von ihrer Schulzeit her lückenlos, und das beeindruckte mich natürlich sehr. Und ich habe mit Freuden diejenigen Gedichte freiwillig gelernt, die mich besonders ansprachen. Und dazu gehörte vor allem Schillers Bürgschaft. Zu Hause sagte ich sie dann stolz auf und bekam dickes Lob. Nicht nur, weil ich eine Leistung vollbracht hatte sondern weil wir dazu gemeinsam mit dem Kopf nickten, wenn diese klassischen Verse als gemeinsame Musik und Erkenntnis erklangen und weil sie durch mich auch in die nächste Generation weitergereicht wurden.

"Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht, dass der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht. Er schlachte der Opfer zweie und glaube an Liebe und Treue." Das waren Worte, die mir schon in meiner Kindheit durch Mark und Bein gingen. "Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn. So nehmt auch mich zum Genossen an. Ich sei – gewährt mir die Bitte – in eurem Bunde der Dritte," sagt der Tyrann am Ende und möchte in einen solch starken Treue- und Freundschaftsbund aufgenommen werden, nicht mehr abseits von derartigen Männern stehen, seine eigene Gewalttätigkeit ablegen und seine einsame Macht in einem Dreierbund aufgehoben und aufgeteilt wissen. Integriert und aufgenommen zu sein, dazu zu gehören, ist ein starker Wunsch! Denn wir Menschen benötigen solch starke, solidarische Gemeinschaft unter gegenseitiger Treue füreinander, um uns sicher, wohl und ganz fühlen zu können.

Wir lassen uns nie rein zufällig von Liedern und Gedichten beeindrucken, sondern aus dem Urgrund der Seele schwingt eine gemeinsame Urerfahrung mit, die sich immer wieder bestätigte und die in einem Vers, einem Lied oder einem kurzen Begriff ihr Echo findet. Die Seele fühlt sich dadurch auch vom eigenen Echo angesprochen, das aus dem Wald zurückruft. Und sie antwortet: "So ist es! Ja, genau so! Hierin erkenne ich meine Eindrücke, meine Erfahrungen wieder. Wie sich die Bilder gleichen." Wir möchten uns unter einem äußeren Zeichen als Gemeinschaft wiederfinden können. Sie ist unser zweites Standbein und verleiht uns Geborgenheit und Stabilität unter gemeinsamem Singen desselben schönen Liedes.

Selbst wenn unsere Urerfahrung am Beginn unseres Lebens negativ war, so können wir doch immer anknüpfen an das, was noch vor jeder Erfahrung in uns hineingelegt worden ist und was die griechische Antike als Areté bezeichnet. Ich gehe weiter unten differenzierter darauf ein. Es ist die Vitalität, die Schöpfungs- und Selbsterhaltungskraft, die jedem Menschen innewohnt und mit der wir nur unverstellt in Berührung kommen können, wenn wir die Schönheit unserer Seele durch Schulung unserer guten Eigenschaften, Tugenden, der sittlichen Werte und Ethik heranbilden. Die Areté ist dem Menschen angeboren; er sollte sie allerdings pflegen.

Am Ende wollen wir in Harmonie gemeinsam ein Lied singen können, als hätten wir es selbst erdacht. Und diejenigen Lieder, die wir alle gemeinsam kennen und singen sind es, die uns aus der Seele sprechen: "Ja, genau so ist es!" Wenn wir das noch unterstreichen wollen, dann haken wir uns ein und dschunkeln miteinander. Wir tanzen beschwingt über das Parkett im Dreivierteltakt fliegend, denn diese Lieder vereinen uns durch gemeinsame Erfahrungen und werden als Hymne und Ode zum wesentlichen Erkennungsmerkmal.

Solche Lieder erklingen als Festtagslieder in besonderen Situationen, als Erkennungsmerkmal, zuweilen auch als Ausdruck von Trauer, dann wieder zur Aufmunterung oder als Solidaritätszeichen, ein andermal als Schlachtruf, woanders dann im fröhlich-ausgelassenen Kneipenlied, in Flamenco und Volkslied wie auch im Schlager. Alle singen sie gemeinsam:"Ein Prosit der Gemütlichkeit". Und am Grabe ertönt: "Ich hatt' einen Kameraden." Und wenn wir gemeinsam die Nationalhymne singen, legen einige die rechte Hand aufs Herz. Sie drückt das teuerste der Bande aus: Vaterland! Sicherheit! Geborgenheit! Heimat und Zuhause! Darin sind wir sicher, da fühlen wir uns geborgen und wohl, und damit identifizieren wir uns.

Es sind die allgemein bekannten Lieder, Gedichte oder auch nur kurzen Aphorismen, in denen wir uns in deren bekannten Aussagen wiederfinden und zustimmend nicken: "Ja, das ist wahr, das spricht mir aus dem Herzen, und ich stimme zu." Und sogar in unseren nächtlichen Träumen singen wir noch derartige Lieder. Selbst im Schlaf kommen sie in allegorischen oder in archetypischen Kurzbegriffen hoch, denen eine Eigenschaft inne wohnt und die zum Erkennungszeichen wurden: zum Symptom als Begleiterscheinung eines umfangreichen Prozesses und manchmal als Erkennungsmerkmal einer ganzen Epoche.

Wie ein Fingerzeig weisen manche Gedichte und Lieder oder auch nur kurze Passagen aus ihnen auf unser eigenes Leben hin. Es gibt mehrere einander ähnelnde Formulierungen für dies Phänomen: Archetypus, Allegorie, Symbol, Kern, Quinta Essentia, Metapher, Beispiel, Projektion, Mimesis, Mimikry1, Symptom, Begleiterscheinung, Erkennungszeichen, Hymne und Ode. Und der Zugang zu ihnen verläuft über die Assoziation als eine Art elektrischen Potentials, das Gefühle frei zu setzen im Stande ist.

"Von der Treue zu sich selbst und der mühelos-mühsamen Integration des Schattens" schreibe ich im Untertitel, an dem ich natürlich immer wieder gefeilt habe, bis ich fand: "Ja, das ist in Kurzform die Aussage meines Buchs." Denn unser Schatten integriert sich tatsächlich von selbst und ohne besonderes Dazutun, wenn wir unserem Selbstversprechen, uns treu zu bleiben, durch allerlei Selbstreflexionen und Übungen immer sicherer und standhafter treu werden. Die Mühe des direkten Versuchs können wir uns sparen, da er fehl geht und einen Erfolg eher verhindert. Alles was zwanghaft oder durch Gewalt zu erreichen versucht wird, ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. Vielmehr ist der Weg der Arbeit an sich selbst mühsam, auf dem uns unser Schatten begleitet, stets hinter uns bleibend und manchmal aus dem Hinterhalt über uns herfallend. Meistens bleibt er unsichtbar und unbewusst. Und wenn er uns anspringt, erkennen wir ihn lediglich als äußeren Feind, nicht aber als Teil unserer selbst. Über den Schatten in seinen vielfältigen Verkleidungen erfahren sie reichlich anhand allgemeiner Vergleiche und unter der Durcharbeitung der Bürgschaft wie auch im Vergleich zu sich selbst.

Nach reichlich Mühen und Ringen um uns selbst gelingt die Integration des ehemals abgespaltenen Schattens tatsächlich mühelos, weil von allein. Und dieser Sieg wurde nicht von uns errungen sondern ergab sich als geschenkte Beigabe, weil wir inzwischen gelernt haben, uns selbst treu zu bleiben, nicht aber unseren vorgefassten Meinungen, die aus den Werturteilen anderer Menschen hergerührt hatten. Wie das? - Wir werden es in diesem Buch gemeinsam erleben, in dem wir konsequent der Treue zu uns selbst begegnen und unter jeder neuen Bedrohung, statt impulsiv zu reagieren, immer besonnener und gelassener werden können, unser Ziel immer vor Augen habend und unterschiedliche Grenzen kennen lernend. Ein Ziel, das als Areté seit Anbeginn in uns ruht und nur akzeptiert werden will wie unser eigenes Kind.

Albert Schweitzer, Schützer und Freund des Lebens, den ich in meiner Kindheit - und natürlich immer noch - sehr verehrte, brachte es bereits auf den Punkt, dass nämlich wirkliche Treue immer die eigene Wahrhaftigkeit ausmacht und Wahrhaftigkeit in der Treue zu sich selbst gründet. Ohne Treue zu sich selbst, die Entscheidungsfähigkeit voraussetzt, gibt es keine Wahrhaftigkeit, und diese kompromisslose, konsequente Treue zu uns selbst ist der eigentliche Motor unserer Wahrhaftigkeit. Wenn wir uns aber statt dessen unter Selbstbeweihräucherung in die eigene Tasche lügen und gar nicht bemerken, wo wir überall unsere Übergriffe tätigen - meist im Glauben, besonders wohltätig und gut zu sein - wenn wir also unsere eigenen Handlungsweisen nicht richtig einschätzen, weil wir nicht einmal uns selbst gegenüber ehrlich sind und darüber hinaus weder gesunde Eigenliebe noch Nächstenliebe zu pflegen in der Lage sind: Wie sollten wir da wirklich wahrhaftig werden können?

Wahrhaftig zu sein, bedarf großer Geduld mit sich selbst und anderen Menschen. Und sie bedeutet letzte Beugung vor dem Schicksal. Gegen Wände zu rennen, ist ohnehin unfruchtbar, da sie nicht weichen werden. Beugung als Hingabe zeichnete Schiller mit markigen Worten in der unbedingten, bedingungslosen Zu-Neigung zu seinem besten Freund. Er lässt seinen Damon durch die Feuer- und Wasserprobe wie in der Oper Die Zauberflöte gehen. Und diese Zauberflöte, die Paminas Vater aus uraltem "Grund der tausendjähr'gen Eiche" geschnitzt hatte, geleitete sie zusammen mit ihrem Tamino sicher durch alle Prüfungen und Gefahren hindurch, denn "ihr Ton ist Schutz in Wasserfluten, so, wie er es im Feuer war." Um Meister seiner Seele werden zu können, braucht das Ich die Vereinigung des starken Paares Anima und Animus. Erst eine solchermaßen erstarkte Seele kann unter unbedingter Treue auf ihrem Weg Auseinandersetzungen standhalten und Gefahren meistern. Und jede Auseinandersetzung mit anderen Menschen sowohl ist eine Auseinandersetzung mit deren wie mit den eigenen Kräften.

Als in Schillers Bürgschaft ein Orkan losbricht, es stürmt und regnet, der Fluss unüberquerbar wird und Damon am Ufer herum irrt, die Räuber aus dem Dickicht hervorbrechen, ihn nach bestandener Probe im wilden Wasser nunmehr unter sengender Sonne der Durst quält, befinden sich Willen und Entscheidung erneut auf dem Prüfstein, und die Entscheidung wird immer wieder nur durch die Treue zu sich selbst und enorme Ausdauer getragen. Damon kann gar nicht mehr anders als das zu tun, was er will. Fühlen, Wünschen, Wollen und Handeln sind in ihm zur einzigartigen Einheit verschmolzen, und darum steht der Modus seiner Handlungsweise auf diesem stabilen Fundament, das an allen Enden seiner Welt befestigt ist.

In seiner Not ruft Damon Zeus an, und er beweist am Ende, das die Ethik der Pythagoräer keine Illusion ist, keine Farce und keine Utopie. Treue und Wahrhaftigkeit sind der stärkste Bund überhaupt! Und er muss zuallererst in jedem Individuum selbständig und durch harte Arbeit am eigenen Charakter etabliert werden, denn bündnisfähig ist nur, wer in sich selbst einen starken Bund geschlossen und alle seine Persönlichkeitsanteile bis hin zu seinem Schatten in sich integriert hat: Ich, Es, Selbst, Über-Ich und den Schatten von Ich, Es, Selbst und Über-Ich. Auf Verwandtschaft und Unterschiede von Schatten und Über-Ich kommen wir noch zu sprechen. Ebenfalls auf Interaktionen und Beziehungen zu den Archetypen.

Wenn alle Widrigkeiten der Welt die Durchführung eines ethischen Vorhabens zunichte zu machen drohen: Dann rufe der Mensch seinen Gott an wie Damon seinen Zeus in höchster Bedrängung anruft. Aus dieser starken, in ihm selbst ruhenden Kraft heraus, die Platon Areté nennt, wächst ihm dann die Stärke zu, derer er sich solange selbst beraubt, wie er nicht er selbst geworden ist. Selbstwerdung vollzieht sich aus der angeborenen Umsetzungskraft, in der Vitalität, gesunde Dynamik, Fließgleichgewicht, Harmonie, Lebenskraft, Heilsein und Heilung ruhen. Kraft und Stärke machen unsere Hoffnung tragfähig. Sie werden ebenfalls aus dieser starken Quelle der Treue genährt. Und sie kommen nicht von ungefähr, sondern sie wachsen uns im Verein mit dem Willen, sich selbst, Gott und den Menschen treu zu bleiben, als Willenskraft zu. Je regelmäßiger wir Vorsätze formulieren und intensiv gebetsmühlenhaft herbeiwünschen, desto sicherer werden sie sich manifestieren und zur dauerhaften Wirklichkeit werden.

Fest verankert auf mehreren Beinen müssen wir stehen. Das sind die antiken Grundelemente Luft, Erde, Wasser, Feuer. Und als fünftes der Geist des Menschen, der, pantheistisch empfunden, ein Anteil der Gesamtgottheit in uns ist und von ihr inspiriert wird. Christlich gesprochen die Vereinigung von Gott und Mensch, die Gottessohnschaft auch, die, psychologisch ausgedrückt, ihr Inneres Kind und damit sich selbst als Führungskraft angenommen hat. Das Gute liegt als Gnadengeschenk im Menschen selbst. Er muss es nur noch finden. In jedem Menschen ruht in der Areté das Potential, ein kraftvoller Held zu sein.

Wir wollen uns im 1. Teilzunächst einen kurzen, nicht auf jedes einzelne biografische Detail eingehenden Überblick über Schillers Leben und die Zeit, in der er lebte verschaffen, bevor wir die Ballade im Zusammenhang lesen. Darum gebe ich zuvor auch einen kurzenÜberblick über Quellen und Entstehung der Bürgschaft. Es würde allerdings den Rahmen dieses Buchs sprengen, chronologisch alle Werke des Meisters aufzuzählen oder sie gar zu besprechen. Das Ziel dieses Buchs ist vielmehr die Bürgschaft selbst mit ihrer so wichtigen Botschaft in ausführlicher tiefenpsychologischer Betrachtung: "Und die Treue ist doch kein leerer Wahn!".

Nachdem wir die Ballade - mit ein paar Bemerkungen am linken Rand der zwanzig Verse auf den Seiten 114ff im Gesamt gelesen haben werden, gebe ich erste tiefenpsychologische Hinweise, indem ich zunächst einmal die Personen, ihre Darsteller und das Wesentliche ihrer Charaktere2 beschreibe. Es wird gut sein, immer mal wieder zum Gedicht zurückzukehren und es nochmals im Ganzen zu lesen. Fußnoten sollen rasche Informationen an die Hand reichen, und in den sehr ausführlichen Glossaren (Nachschlageverzeichnissen) auf den Seiten 368ff und 415ff finden sie Seitenhinweise auf bestimmte Stichwörter.

Im Kapitel Personen und Handlung stelle ich die zugrunde liegenden Archetypen vor sowie - nach Sigmund Freud - die Persönlichkeitsteile Ich, Es und Über-Ich. Gebote und Verbote der Eltern und später auch der Gesellschaft wurden im Über-Ich in die Gesamtpersönlichkeit als ehemals äußere Instanz integriert, sodass der Mensch deren Wertvorstellungen, übernahm. Hierin werden sämtliche Wertvorstellungen der Eltern aber auch der Gesellschaft oft lebenslang deutlich. Die Eltern repräsentieren eine oftmals lebenslange Führungsrolle, die als Über-Ich über dem Ich steht und unabhängige, eigene Entscheidungen erschweren. Damit muss sich die Persönlichkeit kritisch auseinander setzen, statt unterdrückte Bedürfnisse und vermeintliche Unarten im Schatten abzuspalten und lebenslang von einem strengen Über-Ich unter Verschluss halten zu lassen, dann allerdings unbewusst auf andere Menschen zu übertragen und sich in ihnen Prügelknaben und Sündenböcke zu suchen.

Das vorliegende Buch kann auch dazu dienen, unter dem Vorbild von Damon und Phintias die eigenen Kräfte zu erkennen und zu mobilisieren und sich nicht mehr sklavisch unter die Wertvorstellungen anderer Leute zu ducken sondern seine eigene Richtschnur für Werte und Moral in Wahrhaftigkeit und Treue zu sich selbst zu finden, die ihrerseits direkt verbunden ist mit derjenigen Kraft und Richtschnur, die uns alle am Leben erhält. Wer dabei allerdings alle Traditionen unreflektiert in anarchistischer Weise über den Haufen wirft, beraubt sich wertvoller Erfahrungen, die unsere Eltern vorbildhaft gesammelt haben. Die dirigistische Wirkung des Über-Ichs aus dem negativen Erbteil der Eltern als dauerhafter Präsenz in der Persona3 beziehungsweise in Ihrer Präsenz in allem, was die Eltern abgelehnt haben, sollte aber durch Eigenarbeit kritisch unter die Lupe genommen werden. Beide Persönlichkeitsteile - die Persona und ihren Schatten - stelle ich immer wieder einander gegenüber und nehme dabei Bezug auf Schillers Leben und seine Ballade.

Um eine Brücke zur Persönlichkeit des Lesers zu schaffen, stelle ich im 1. Teil bereits die wichtigsten Archetypen im Kapitel Die Personen und ihre Darsteller vor, und im 2. Teil schreibe ich noch etwas ausführlicher darüber in einem eigenen Kapitel. Grundlegende Begriffe aus Psychoanalyse und Philosophie werden jeweils gründlich erläutert, und es wird allgemein verständlich in diese Begriffswelt eingeführt. Um den Hintergrund der Ballade noch besser zu verstehen, machen wir einen Streifzug durch Hochzeitsbrauchtum, Mythografie und Philosophie der griechischen Antike. Damon und Phintias gehörten den Pythagoräern an, und darum wollen wir uns auch mit dieser philosophischen Schule und dem Vegetarismus der Antike befassen. Dabei nehme ich immer mal wieder Bezug zum Christentum, dessen Anfänge ebenfalls in der Antike liegen. Ein kurzer Blick auf andere Mythologien rundet das Bild besser ab.

Danach schließe ich den ersten Teil mit einer Betrachtung aus dem Blickwinkel allgemeiner Vorstellungen und nicht nur des christlichen Glaubens im Vergleich zur Vernunft ab. Ferner flechte ich hin und wieder vor allem im 3. Teil eine mögliche christliche Sichtweise bei der Besprechung der einzelnen Verse immer mal wieder mit ein. Im Christentum- und Bibelglossar finden sie ebenso wie im alphabetischen Glossar rasch passende Stichwörter mit Seitenhinweisen. Das bezieht sich auch auf den Vegetarismus, zu dem Stichwörter natürlich nur im alphabetischen Glossar zu finden sind. Und da die antiken Athleten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überwiegend Vegetarier waren, habe ich im Anhang eine Liste mit heutigen sehr leistungsfähigen und bekannten vegetarischen Sportlern angefügt.

Im 2. Teil führe ich in grundlegende psychologische Begriffe ein, die natürlich überflogen werden können, wenn sie schon geläufig sind. Ich glaube allerdings aufgrund meines künstlerischen Berufs, mit meinen persönlichen, oftmals sehr bildhaften Betrachtungen dazu beitragen zu können, bekannte Begriffe auf besondere Weise zu präzisieren. Die tiefe Verbundenheit der poetischen Sprache mit der Tiefenpsychologie wird immer wieder herausgekehrt. Unsere Poeten haben sich durch die Jahrtausende hindurch zu psychologischen Dramen, Romanen und Gedichten angeregt gefühlt, wenngleich Psychologie als Wissenschaft erst durch Sigmund Fromm, C.G. Jung, Alfred Adler, Anna Freud und andere Mitte und Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus der Taufe gehoben wurde. Und darum erläutere ich in einer Kurzdarstellung meine eigene Biblio- und Schreibtherapie sowie meine eigenen Beziehungen zu Schillers Bürgschaft und den darin enthaltenen metapherhaften, allegorischen Aussagen.

In zwei separaten Büchern habe ich meine Selbsttherapie bereits ausführlich beschrieben.4 Das hier vorliegende Buch hat mich erneut mit mir selbst in Berührung gebracht, und so bin ich durch meine intensiven Arbeiten daran über viele Seitenkanäle und reichliches Studium von Randgebieten, die ich für sehr wesentlich für das genaue Kennenlernen von Schillers Bürgschaft halte, noch ein gutes Stück mit mir selbst voran gekommen.

Und ich rege dazu an, ihre eigenen persönlichen Bezüge zur Bürgschaft zu ergründen und zu erkennen, warum gerade sie sich von ihr angesprochen fühlen. Ein paar Ausflüge zur Ethik in Politik, Städten und Staatsführung verschafft uns weitere Brücken zur Generalisierungsnotwendigkeit von Treue, Wahrhaftigkeit, Integration des Schattens und persönlicher Individuation..

Und dann wollen wir uns im 3. Teil nach all diesen gründlichen Vorbereitungen schließlich dem Genuss hingeben, Stück um Stück und Vers um Vers auf der erworbenen Grundlage des vorher Dargestellten uns diesem großen Werk Friedrich Schillers zu nähern, das meiner Meinung nach den Kern seiner Lebensaussage enthält, den er uns vor allem auch in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen an den Herzog von Holstein Augustenburg hinterlassen hat, die im 1. Teil (Seiten 27, 31-33, 71-76) zu finden sind. Ich werde nicht detailliert auf alle Briefe eingehen, gebe im vorliegenden Buch aber drei von ihnen wieder.

Die Kernaussagen von Dramen und ganzer Viten werden oftmals viel zu vordergründig, nämlich von der Objektstufe her betrachtet. Da gibt es die Handelnden und die Behandelten, die Protagonisten und die Antagonisten. Und die ureigene persönliche Stellung wird nur selten von der Subjektstufe her beleuchtet, die so Vieles relativieren könnte, was wir an Meinungen aufbauen und was wir an Stellungen zu den einzelnen Akteuren beziehen. Gerade aber durch diese gewissenhafte, detaillierte subjektpsychologische Arbeit werden wir mit unseren Irrungen und Wirrungen vertrauter, denen wir nur durch unmissverständliche Forderungen nach Rücksichtnahme unter gesunder Liebe zu uns selbst entschieden entgegen treten können. Das erst ermöglicht auch die nachfolgende Individuation: die Selbstwerdung.

Nur unter klarer Abgrenzung zu unseren Mitmenschen und unter Privatisierung unserer Gedanken erkennen wir unsere wirklich eigene Sicht, schaffen Entscheidungen, hinter denen wir im Sinne des Wortes auch tatsächlich stehen, schaffen uns einen unerschütterlichen eigenen Standpunkt. In der tiefenpsychologischen Betrachtung wollen wir uns deshalb gezielt davon frei machen, nur Äußerlichkeiten zu sehen und sie für die einzige Wirklichkeit zu halten, indem wir damit aufhören, wie in Platons Höhlengleichnis2 angebunden in einer Höhle zu vegetieren und nur in eine einzige Richtung zu schauen, wobei wir unter solchem Zustand lediglich die Schattenwürfe für die Wirklichkeit halten. Zum besseren Verständnis dieser Problematik habe ich das Kapitel Wahrheit, Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit eingefügt5.

Während meiner Arbeiten an der Bürgschaft fielen mir immer wieder prächristliche Zusammenhänge auf, und dies nicht nur im Zusammenhang mit dem Kreuz. Da alles mit allem vernetzt ist und auf dem Weg durch die Geschichte sich natürlich auch Verstand, Bildung und Ansichten entwickeln und aufeinander aufbauen, können wir, uns in die Vergangenheit zurückversetzend, immer wieder sehen, dass sich zukünftige Entwicklung bereits früh abgezeichnet hatte. Das ist auch in der Religion so. Darum habe ich diese Bezüge immer wieder mal eingestreut, sowohl auf andere Religionen als auch speziell auf das Christentum hinweisend. Im umfangreichen alphabetischen Christentum- und Bibelglossar können sie, wie schon angedeutet, über entsprechende Stichwörter derartige Bezüge herausfinden und sich gezielt zusammensuchen, was sie interessiert. Bedenken sie bitte, dass das Christentum seine Wurzeln in der Antike hat, denn die umfasst sowohl den Zeitraum seines Entstehens als Kontakte mit Griechen und Römern. Und es haben sich ja auch tatsächlich einige Mischformen ergeben, die aber von der sich etablierenden Kirche heftig unterdrückt wurden, um die Lehre Christi rein zu halten und eine zentrale päpstliche Glaubensverwaltung als Stuhl Petri in Rom zu etablieren.

Ferner finden sich im Anhang unter den verschiedenen Verzeichnissen reichlich Hinweise auf Ernährungsbücher, Vegetarismus und eine Liste über vegetarisch lebende Sportler und Athleten unserer Zeit. Das nimmt Bezug zum Kapitel Vegetarismus in der Antike. Die meisten Philosophenschulen lehrten innerhalb ihrer ethisch und gesundheitlich motivierten Gesundheitslehre auch den Vegetarismus. Allgemein wurde zu Mäßigung und moderatem Leben angehalten, und auch diejenigen, die Fleisch aßen, werden es nicht üppig praktiziert haben, denn sie wussten vom Zusammenhang zu Krankheiten und aßen, wenn sie gesund werden wollten, immer rein vegetarisch. Und da es weder Kühlschrank noch Vorratshaltung durch Konserven gab, war es ohnehin unmöglich, täglich Fleisch und Wurstwaren auf den Tisch zu bringen. Die Pythagoräer, wozu unsere Helden der Bürgschaft gehörten, waren Vegetarier wie andere Philosophen auch. Doch dazu mehr im entsprechenden Kapitel ab Seite 163.

Ohne Wahrhaftigkeit und Treue des Einzelnen, die nur durch ernsthafte Arbeit am Charakter zusammen mit der Vereinigung von Anima und Animus und der mühelosmühsamen Integration des Schattens ohne versklavende Übernahme der Tyrannis durch das Über-Ich sich von selbst ergibt, kann weder das persönliche noch das soziale Leben glücken. Wirkliches Lebensglück findet der Einzelne allerdings nur dann, wenn Staat und Gesellschaft sich nach der bereits von Platon vor rund zweitausendvierhundert Jahren erkannten Idee des Guten ausrichten, statt unentwegt nur an Wirtschaftsförderung, Gewinnund Wissensmaximierung zu denken, die unter Ausbeutung der Bevölkerung nur wenige "Privilegierte" bereichert. Platon wollte ganz andere Werte mit seiner Lehre vom idealen und perfekten Staat nach Syrakus tragen, die jedermann ausgewogene Zufriedenheit und ein glückendes Leben ermöglichen sollte. Dazu allerdings hätte es der Areté, Sophrodyne (Gelassenheit), Sophia (Weisheit) und eines gewissen Maßes an moderater Askese bedurft, was bis heute nur Wenigen gegeben ist.

Diese Grundtugenden werden nicht genügend beachtet noch könnten sie unter der üblichen Missachtung und Despektierlichkeit in ihrem Wert wirklich erkannt werden. Und von daher werden sie nicht wirkschaffend als ideale Disziplinierung des ehemals ungesell'gen Wilden gelehrt noch eingeübt. Man möchte lieber Fertigkeiten anerziehen, um dann lebenslang zu schuften und sich Wissen und Haben anzuhäufeln, indem man in tradierter Weise seinem Chef als Über-Ich-Ideal dient. Darunter wird Macht idealisiert, indem man sie entweder selbst ausübt oder vor ihr kriecht und den Weg zum waren Glück verkennt. Die menschliche künstlerische Kreativität wird nicht ausreichend dazu genutzt, das Ästhetische in seinen vielfältigen Formen genügend herauszukristallisieren, unter liebevoller Pflege einzuüben und zur Blüte des Menschseins zu verhelfen. Der Lebensgestaltung fehlt deshalb weitgehend das künstlerische, wirkschaffend gestaltende Element. Unsere Bildungsinstitute verkommen vielmehr zu Bildungsfabriken, die obendrein noch von Lobbyisten aus der Wirtschaft ebenso durchzogen sind wie Politik, Gesetzgebung und Subventionswesen. Freie Forschung und Bildung gibt es eben nicht.

Aus dem passiven Sich-Werden-Lassen, das aus der angeborenen Areté als göttlicher Gnadengabe hervorgeht, erfolgt das aktive gute Handeln. Aus der Areté entnimmt der Mensch seine Gaben und seine Fähigkeit, sich zu seinem wahren Sein zu entwickeln, welches als Samenkorn bereits von Anfang an in ihn hineingelegt wurde. In diesem Samenkorn ist das Leben spendende Göttliche selbst enthalten, und es benötigt entsprechenden Boden, um sich entfalten zu können. Wer sich nicht aus den bei jedem Menschen angelegten guten und gesunden Führungskräften heraus passiv sich selbst werden lässt, kann nicht ungestört aktiv handeln noch Gutes und Gesundes bewirken. Der Mensch kann - biblisch gesprochen - nicht zu Gottes Ebenbild werden, wenn er sich nicht loslässt sondern aus unbewussten Ängsten heraus aktiven Machtmissbrauch betreibt. Wir können nur mit dem Wind aus Gottes Inspiration gut segeln. Wer selbst in seine Segel pusten will, braucht starke Lungen.

In der selben Weise, wie der Mensch lernt, sich selbst und dem in ihm als Samenkorn Angelegten treu zu werden und zu bleiben, wird er auch den Naturgesetzen folgen können, die in der tugendhaften Areté als göttlichem Kern stecken und ihn zum Dienenden machen wollen. Sie ist das eigentliche Über-Ich, welches jedoch nicht als Tyrannis über den Menschen befiehlt sondern aus den ewigen Gesetzen heraus wie das Daimonion des Sokrates oder - christlich gesprochen - durch den heiligen, göttlichen Geist führen möchte. Areté und Daimonion gehören zum Seins- und Werdensgesetz (= Lebensgesetz) wie Seele, Organe, Herz und Verstand. Als intelligentes Wesen mit freier Wahl kann sich der Mensch zur Selbstführung aus seinen guten Kräften heraus entscheiden oder sich weiterhin unter die Tyrannei seines alten Über-Ichs beugen. Von seiner freien Entscheidung hängen sein Glück oder sein Unglück ab. Und die kluge Entscheidung, sich demütig und ehrfürchtig zu beugen, trifft wirklich selbstsicher nur ein starkes, aus der Ewigkeit, der Areté und dem Daimonion gestütztes Ich.

Sich für dasjenige zu entscheiden, was von selbst wachsen und es selbst werden möchte, fällt dem Menschen oftmals so schwer, wenn er sich in Mutlosigkeit und Lethargie zurücklehnt oder aus vielerlei unbewussten Ängsten heraus ins Gegenteil verfällt und viel zu aggressiv handelt. Das menschliche Leben stellt reichlich Aufgaben, durch die der Mensch das werden kann, wozu er eigentlich berufen ist: ein treuer Mensch zu sein, der seinen Selbstführungskräften und dadurch seinem Schöpfer, den Mitmenschen, seiner Umwelt und sich selbst treu ist und bleibt. Die wirklichen Selbstführungskräfte des Menschen dürfen angenommen werden. Sie sind ein Geschenk, an dem wir uns bedienen dürfen. Ein Geschenk allerdings, das erst durch ein gesundes Maß an Zurücknahme aus Liebe zum Ganzen im Dienen (!) seinen vollen Wert entfalten kann. In der Rücksichtnahme gegen jedermann liegt auch das Geheimnis der Liebe.

Und nun wünsche ich ihnen viel Freude mit der Lektüre dieses sorgsam recherchierten Buchs über Schillers Bürgschaft, die griechische Antike, antike und christliche Mythologie, Philosophisches, Philosophenschulen und vor allen Dingen über profunde tiefenpsychologische Zusammenhänge, die durch die archaische Sprache ebenso erkennbar werden wie durch die ihr verwandte Poesie. Erlernen wir also nicht irgendeine sondern die archaische Sprache

 

 

1 Bei der Mimesis geht es um Nachahmung des Prozesshaften, also in einem zeitlichen Ablauf. Unter Bewegungen, Mimik und Sprache werden echte Menschen und deren Charaktere und Handlungen nachgeahmt. Im weitesten Sinne Schauspielerei, also auch dann, wenn jemand sinnbildlich "Theater macht" statt sich so zu geben, wie er selbst ist.

Mimese = Ein Insekt ähnelt beispielsweise einem Zweig oder Blatt, ein Fisch einem Stein. Der Sinn ist Tarnung. Tarnende Schutztracht als Abschreckung von Fressfeinden. Das soll das Überleben sichern.

Mimikry = Nachahmung beispielsweise der Geschlechtsteile in der Gesichtszeichnung (Mandrill), Brüste der Frau als Imitation der Pobacken. Nachahmung der Zeichnung gefährlicher Tiere auf ungefährlichen, um abzuschrecken. Es geht nicht immer nur um Abschreckung sondern auch um Imitation, um aufmerksam zu machen. ► Seite 222.

 
2 Charakter leitet sich ab vom Münz-Prägestempel bzw. dem Verb prägen. Der Charakter unterliegt demnach einer Prägung und prägt auch die Mitmenschen. Wir sprechen in der modernen Psychologie beim Menschen allerdings nicht von Prägung sondern vom Lernen. Damit befassen sich Lern- und Verhaltenspsychologie. Der Charakter wird zum eigenschaftlichen Erkennungsmerkmal und ist durchaus durch Lernen veränderbar. (Fußnoten 215, 261).
 
3 Persona: Definition in der Fußnote 1 auf Seite 120
 
4 Bibliotherapie = therapeutische Wirkung beim Lesen bestimmter Themen.
Schreibtherapie = therapeutische Wirkung durch schriftliche Formulierungen, Strukturierung und Ausarbeitung..
 
5 ►Das Wort Schatten hat selbstverständlich unterschiedliche Bedeutungen. Die Schattenwürfe, von denen Platon spricht, können sowohl als die nach C. G. Jung dunkle, im Schatten liegende Seite des Menschen verstanden werden wie auch ein an der Wirklichkeit Vorbeileben. Das Alltagsleben kann durchaus am Sinn des Lebens vorbei gehen. Wenn im vorliegenden Buch davon die Rede sein wird, dass sich durch dieses oder jenes Schatten auf unser Leben legt, hat das nicht jedes Mal mit dem C.G.Jung'schen Schatten zu tun. Bitte achten sie also auf die unterschiedliche Bedeutung des Wortes. Selbst als Metapher muss es sich nicht unbedingt auf den Archetypus Schatten beziehen. Die menschliche Sprache ist gerade durch ihre Bildhaftigkeit manches Mal verwirrend. In verschiedenen Fachbereichen bedeuten bestimmte Ausdrücke dann auch Unterschiedliches.
► Höhlengleichnis 12, 149, 150, 189, 235, 246